Wirtschaftliche Folgen

In den radioaktiv belasteten Regionen der Ukraine mussten viele landwirtschaftliche Genossenschaften und Firmen aufgegeben werden. Die verbliebenen Firmen in den noch bewohnten kontaminierten Gebieten bekommen keine Fachkräfte, da vor allem junge Bewohner wegziehen. Für Investoren sind selbst gering verstrahlte Territorien nicht mehr interessant und die Arbeitslosigkeit breitet sich immer weiter aus.

Bewältigung während der Sowjetzeit

Die tatsächlichen Kosten der Katastrophe können kaum geschätzt werden, obwohl immer wieder Zahlen genannt werden. Sie beziehen sich jedoch nur auf einen bestimmten Zeitabschnitt oder einen finanziellen Teilbereich, wie etwa die Erstellung des Sarkophages und die danach notwendigen Wartungsarbeiten. Die Zeitung PRAVDA berechnete 1990, dass der Unfall die Sowjetunion in den ersten vier Jahren 9.2 Milliarden Rubel ( 1 Rubel ≈ 0.03 CHF; 9,2 Mia ≈ 280 Mio. CHF) gekostet hat. Allein die Wartung des Sarkophags kostete 80 bis 100 Millionen Rubel jedes Jahr. Hätte die damalige Sowjetunion alles getan, um die Bevölkerung zu schützen, so wäre es einiges teurer geworden. Nicht nur haben die Verantwortlichen verzichtet, die Betroffenen in den Jahren nach dem Unfall umzusiedeln oder zumindest mit nicht verstrahlten Lebensmitteln zu versorgen, sie waren nicht einmal bereit, auf die Ernte aus den am stärksten betroffenen Gebieten zu verzichten. Nur ein kleiner Teil der kontaminierten Lebensmittel wie etwa Milch oder Fleisch wurde vernichtet, der Rest wurde weiterverarbeitet.

 

Die Haltung der Sowjetunion hatte verschiedene Gründe: Priorität hatte in den Wochen und Monaten nach dem Unfall die Verharmlosung der Tatsachen und die Beruhigung der Bevölkerung und des Auslandes. Durch Notschlachtungen von Vieh und Vernichtung von Nahrungsmitteln wäre wahrscheinlich der gegenteilige Effekt eingetreten. In der damaligen wirtschaftlichen Situation konnte sich die Sowjetunion solche “Empfindlichkeiten” nicht leisten. Stattdessen wurde kontaminiertes Fleisch mit nicht Kontaminiertem vermischt und an weit entfernte Republiken geschickt. Privaterzeugern wurde der Verkauf ihrer eigenen Erzeugnisse untersagt. Sie konnten ihre Produkte jedoch an die staatlichen Aufkaufstellen verkaufen. Das Gemüse der sozialistischen Agrarbetriebe hingegen hielten die Verantwortlichen für unbedenklich und boten es vermehrt auf den Märkten an.

Quantitative Einbussen gab es trotz der Tatsache, dass die Ernte eingebracht worden war. Die Verluste waren vor allem durch die Evakuierung der Bevölkerung und der Nutztiere bedingt. In den Folgejahren wurden hoch verstrahlte Nutzflächen weiter bebaut, wodurch stark verseuchte Nahrungsmittel produziert und auf den Markt gebracht wurden.

 

Mit dem Informationsfluss 1989 kam die sowjetische Regierung nicht umhin, Hilfsprogramme für die betroffene Bevölkerung auszuarbeiten. Sie sahen Kompensationszahlungen an Personen in stark verstrahlten Gebieten, Versorgung mit nicht verstrahlten Lebensmitteln und neue Umsiedlungen vor. 1

Ausmass der Schäden

Der Reaktorunfall von Tschernobyl hat sich auf Wirtschaft und Gesellschaft der Ukraine verheerend ausgewirkt. Die Katastrophe traf den Lebensnerv der Volkswirtschaft, denn Landwirtschaft, Industrie, Forstwirtschaft und Wasserversorgung wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen.

 

Seit der Gründung des Landes trägt die Ukraine die gesamten Kosten für die Unfallbewältigung selbst und muss bis heute 5% des Staatshaushaltes darauf verwenden. Allein im Zeitraum 1991 bis 2000 beliefen sich die Folgekosten der Katastrophe auf 6 Milliarden US-Dollar.

 

Die Katastrophenbewältigung betrifft zwar verschiedenste Bereiche, doch die medizinischen und hygienischen Vorkehrungen stehen bis heute eindeutig im Mittelpunkt staatlicher Unterstützung.

 

Ukrainische Experten haben errechnet, dass sich der prospektive Gesamtschaden der Reaktorkatastrophe bis ins Jahr 2115 auf 201 Milliarden US-Dollar belaufen wird. Zum Vergleich: Im Jahre 2001 betrug das Bruttosozialprodukt der Ukraine 201,927 Milliarden Hrywnja beziehungsweise 37,533 Milliarden US-Dollar. 2